Die gefallenen Mädchen
In diesem Beitrag bzw. den unten verlinkten Radiobeiträgen geht es um die Mütter verlassener Kinder, häufig sog. „gefallene Mädchen“. Ein erschütterndes und berührendes Zeitzeugnis der Adoptionspraxis nach 1945, bis in die 1990er Jahre hinein. Diese und ähnliche Berichte gingen und gehen mir immer noch unter die Haut, wenn ich mich mit den historischen Dimensionen der Adoption befasse. Viele Frauen beginnen erst im höheren Erwachsenenalter, sich mit ihrem Verlust und der erlebten Gewalt im Adoptionsprozess auseinanderzusetzen, das damals erlebte Trauma zu verarbeiten und die Hilfe zu erhalten, die ihnen im jungen Alter verwehrt war.
Tatsache ist, dass in den Nachkriegsjahren, bis in die 90er Jahre hinein noch, viele ledige Mütter, die sich aus verschiedensten Gründen nicht um ihr Kind kümmern konnten, zu einer Adoption gedrängt wurden. Den Müttern wurde die Abgabe des Kindes als eine „win-win-Situation“ erklärt: Wohlhabende Paare, die ungewollt kinderlos seien, könnten ihrem Kind bessere Chancen und Perspektiven im Leben bieten als die abgebende Mutter. Diese hatten in der Regel weder finanzielle Mittel noch wünschenswerten familiären Rückhalt, um dieser Argumentation etwas entgegen zu setzen. An andere Möglichkeiten der Unterstützung für ledige Mütter (auch minderjährige Mädchen) wurde damals nicht gedacht.
Und diese Unterstützung ist heute genauso wichtig wie damals, damit individuell und/oder familiär prekäre Notlagen früh erkannt und aufgefangen werden. Pflegschaft und Adoption können in schweren Fällen geeignete Lösungen sein. Dabei wird heute, wo immer möglich, auf eine für alle Seiten „offene“ Gestaltung des Prozesses geachtet. Es werden Möglichkeiten überlegt und geschaffen, dass abgebende Mutter und Kind im Kontakt bleiben können, auch wenn das Kind aus wichtigen Gründen in einer anderen Familie aufwächst. Eine Bindungstraumatisierung, wie sie früher Mütter (und Kinder), die gar nicht oder sehr schlecht beraten wurden, erlebten, kann somit vermieden werden.
Die Zeiten haben sich geändert. Heute ist eine ungeplante und/oder ungewollte Schwangerschaft kein „Stigma“ oder keine Lebenskatastrophe mehr. Es gibt Beratungsstellen und Hilfeangebote in jeder etwas größeren Stadt, die kostenlos in Anspruch genommen werden können. Am wichtigsten scheinen mir – aufgrund des heute vertieften Verständnisses der immensen Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung und deren Wirkung für ein ganzes Leben – Solidarität und Mitgefühl mit den Frauen und Müttern in Notlagen zu sein. Umso wichtiger die Arbeit von Schwangerschaftsberatungsstellen, Frauenhäusern und Opferschutzorganisationen, von Beratungsfachkräften und Therapeutinnen (i.d.R. weiblich), schwangere Frauen in Not nicht alleine zu lassen.
Ich plädiere ausdrücklich dafür, dass Kinder – soweit das zu verantworten ist – immer bei ihren leiblichen Müttern aufwachsen und jedwede finanzielle und sonstige Hilfe auch dorthin, zu Müttern und ihren Kindern, geht. Ausnahmen sehe ich lediglich im Falle bestehender oder drohender Kindeswohlgefährdung, zum Beispiel dann, wenn die schwangere Mutter (egal wie alt) sich aufgrund beispielsweise schwerwiegender seelischer, sozialer und wirtschaftlicher Gründe nicht um ihr Kind kümmern kann bzw. das gesunde Aufwachsen des Kindes durch eigenes (oder unterlassenes) Handeln direkt oder indirekt gefährdet. Auch heute noch ist frühe und umfangreiche Aufklärung junger Mädchen in der Schule, insbesondere auch mit unterschiedlichen kulturellen und ethnischen Hintergründen, unbedingt erforderlich, damit frühestmöglich und bestmöglich alles unternommen wird, eine frühe ungeplante und/oder nicht gewollte Schwangerschaft zu verhindern.
Erste Anlaufstellen für schwangere Frauen in Krisensituationen, z.B. bei ungeplanter und/oder ungewollter Schwangerschaft, sind die kommunalen Familienberatungsstellen, entweder in Trägerschaft der Stadt/des Kreises, in Trägerschaft eines Sozialverbandes, zum Beispiel CARITAS oder Diakonie oder Arbeiterwohlfahrt oder Deutsches Rotes Kreuz oder konfessionelle Beratungsstellen.
In vielen Kliniken gibt es die Möglichkeit einer sogenannten vertraulichen Geburt. Für schwangere Frauen hat die vertrauliche Geburt den Vorteil, dass bei Komplikationen während der Geburt die notwendige ärztliche Versorgung gesichert ist, nicht nur für das Kind sondern auch für die Mutter. Diese Versorgung ist nicht gegeben, wenn das Kind unbegleitet „irgendwo“ und ungeschützt zur Welt kommt oder in einer Babyklappe abgelegt wird.
Wenn du gerade in so einer schwierigen und scheinbar ausweglosen Situation bist, nimm Kontakt zu einer Beratungsstelle auf, bleib auf gar keinen Fall mit deinen Sorgen alleine!
Frauen, die ihr Kind anonym geboren (bis 2014 üblich), in einer Babyklappe abgelegt oder zur Adoption freigegeben haben und diesen Schritt nicht verarbeiten können, können ebenfalls Beratung und Hilfe suchen, einige weitere Suchmöglichkeiten findest du über den Menüpunkt „Hilfe“.
Für schwangere Frauen:
Beratungsstellen in Wohnortnähe findest du beispielsweise über familienplanung.de
Hilfe für schwangere Frauen in Notsituationen
Hilfetelefon für schwangere Frauen in Not
Die gefallenen Mädchen
Eine Radioreportage von Bayern Radio (25.03.2021)
Teil 1 – Schande und Schuld – Anfang der 1980er Jahre haben sich Schwangere in Entbindungsheimen versteckt. „Gefallene Mädchen“ nannte man die Frauen, weil sie ledig oder minderjährig schwanger waren, eine Schande damals.
Teil 2 – Die Babyhändlerin – Viele „Gefallene Mädchen“ ließen ihre Kinder nicht freiwillig in Entbindungsheimen zurück. Sie hatten kein Geld, fühlten sich erpresst. Die Kinder wurden oft zur Adoption freigegeben. Ein schlimmer Verdacht: Haben sich Hebammen an der Not der Frauen bereichert?
Teil 3 – Foto Love Story – „Als Inge merkte, dass ihre körperliche Liebe zu ihrem Freund Werner Folgen hatte, tauchte sie in München unter. Sie musste das Kind heimlich bekommen.“ So erzählt es eine Bravo Foto Love Story von 1973. Dahinter steckt ein Schicksal eines „Gefallenen Mädchens“.